Zierenberger Lehrerin unterrichtet Kinder wegen Corona-Epidemie im Garten
Calden/Zierenberg. Erwartungsvoll blickt Silas die Straße entlang. Der Elfjährige steht am Eingang seines Elternhauses in Fürstenwald und wartet. Als der leuchtend rote VW-Bus in die Bahnhofsstraße biegt, strahlt der Fünftklässler übers ganze Gesicht: „Jetzt kommt die beste Lehrerin aller Zeiten.“
Der Schüler der Elisabeth-Selbert-Schule meint damit seine Klassenlehrerin Simone Kettner. Diese hat sich angesichts geschlossener Schulen in Corona-Zeiten etwas Besonderes einfallen lassen: Sie besucht die Schüler im heimischen Umfeld und unterrichtet sie dort – natürlich alles unter Einhaltung der Hygienevorschriften. Das fängt schon vor der Begrüßung an. Aus ihrem leuchtend roten Fahrzeug holt sie Desinfektionsspray und Tücher und desinfiziert alles, was mit dem Schüler in Verbindung kommen könnte. Mit geschulterter Gitarre, zahlreichen Schulbüchern und viel Vorfreude betritt sie den Garten der Familie Giebeler, um den Unterricht der besonderen Art zu starten. Dort haben schon Silas‘ Eltern Tisch und Stühle aufgestellt und damit alle Vorbereitungen für einen Klassenraum im Freien geschaffen. Auf dem Stundenplan stehen heute Englisch und Musik, zwei Lieblingsfächer von Silas.
„Silas freut sich sehr auf diese Unterrichtseinheit und das persönliche Treffen mit seiner Lehrerin. Es ist viel schöner als die Arbeitsaufträge über ein Schulportal zu erhalten. Das ist wirklich eine tolle Sache“, lobt Kerstin Giebeler das außergewöhnliche Engagement Kettners.
Wie diese auf die Idee kam, die Kinder zuhause zu unterrichten? „In dieser besonderen Situation müssen wir alle kreativ sein und das Beste aus der Situation machen“, sagt die 54-Jährige. „Wenn die Schüler nicht in die Schule kommen, kommt die Schule einfach zu ihnen.“ Glücklicherweise habe sie auch seitens der Schulleitung sofort grünes Licht für ihr Projekt bekommen. Gleich mehrere Faktoren seien für die Entstehung verantwortlich gewesen.
Zum einen, dass sie sich erst kürzlich einen VW-Bus angeschafft hatte und somit genügend Stauraum für Campingmöbel für den Unterricht im Freien hat. Zum anderen, dass sie eine Unterrichtsform per Chat für ihre Fünftklässler als nicht optimal ansieht. Und schlussendlich die Tatsache, dass sie den persönlichen Kontakt zu ihren Schülern allen anderen Formen der Kontaktaufnahme vorzieht.
„Ehrlich, ich vermisse meine Schüler. Außerdem kann ich mich besser in sie hineinfühlen, wenn sie mir gegenüber sitzen.“ Die Situation sei für die Kinder ohne ein Treffen mit Freunden und fehlender Tagesstruktur ohnehin schwierig. „Daher möchte ich ihnen mit meinem Besuch die Situation erleichtern.“ Die Pädagogin weist darauf hin, dass alle ihre Kollegen an der Elisabeth-Selbert- Schule ebenfalls darauf bedacht sind, ihre jeweiligen Schüler optimal zu versorgen. „Jeder auf seine ganz individuelle Art. Einige halten telefonisch Kontakt, andere postalisch oder auch per Chat. Alle sind aber sehr engagiert bei der Sache.“
Dass ihr Projekt einzigartig ist, möchte Kettner nicht überbewerten. „Ich habe einfach das gemacht, was speziell in meiner Situation möglich ist.“ Damit verfolgt sie die Philosophie, die sie auch ihren Schülern mit auf den Weg geben möchte. „Jeder Mensch hat eine besondere Begabung, die er nutzen sollte. Jeder kann etwas dazu beitragen, dass es allen ein bisschen besser geht.Vor allem in schwierigen Zeiten wie diesen.“ (Artikel von Martina Sommerlade, HNA)
Auch RTL Hessen ist auf das Bullyschooling aufmerksam geworden und hat Frau Kettner einen Vormittag lang begleitet:
https://www.rtl-hessen.de/beitrag/calden-lehrerin-unterricht-zuhause-schueler-besuch